Komplexitäten und Folgen in der Ausbildungsvorbereitung mit Hilfe von H5P verdeutlichen
Lesezeit: ca. 12 Minuten – Wörter: 2.571 Wenn wir heute Jugendliche beim Sprung in die Ausbildung begleiten, merken wir schnell: Das traditionelle Schlagwort „VUCA“ – volatil, unsicher, komplex, ambivalent – beschreibt nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Mehrere Krisen, rasante Technologiesprünge und gesellschaftliche Umbrüche greifen ineinander und formen eine Polykrise, in der Jugendliche ihre nächsten Schritte kaum kalkulieren können. Die Shell‑Jugendstudie 2024 und die SINUS‑Jugendstudie 2024 zeichnen dieses Spannungsfeld aus Erwartungen, Unsicherheit und Selbstverantwortung detailliert nach. Die pädagogische Antwort auf einer immer komplexer werdenden Welt kann nicht in der Vermittlung eindimensionaler „richtiger“ Lösungen liegen. Zukunftsorientierte Rahmenwerke – etwa der OECD Learning Compass 2030 oder das Future‑Skills‑Framework des Stifterverbands – betonen stattdessen transformative Kompetenzen: systemisches Denken, reflexives Entscheiden, verantwortungsvolles Handeln unter Unsicherheit. Besonders im Übergangssystem sind Lehrkräfte gefordert, solche Kompetenzen bewusst zu modellieren und Lernräume zu schaffen, in denen Schülerinnen und Schüler Folgen eigener Entscheidungen transparent erleben können. Die Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ der KMK und § 2 des Hamburgischen Schulgesetzes benennen diese Orientierung ausdrücklich als Bildungsauftrag – erst recht für Klassen, in denen ein fehlender Schulabschluss, Sprachbarrieren oder soziale Belastungen die Komplexität weiter erhöhen. Für die Praxis bedeutet das: Lernumgebungen dürfen Komplexität nicht generell wegfiltern, sondern müssen sie für Lernende greifbar und risikofrei erlebbar machen. Interaktive Szenarien, in denen Ursache‑Wirkungs‑Netze transparent werden, eröffnen einen sicheren Proberaum, um Entscheidungen zu treffen, deren Konsequenzen man sonst erst viel später spüren würde. Genau hier hat mich beim ZUM-Frühjahrsworkshop im März 2025 in Würzburg der neue H5P‑Inhaltstyp »Choice Explorer« von Oliver Tacke nach Nachdenken angeregt. Im weiteren Verlauf dieses Beitrags schauen wir uns daher in aller Ruhe an, welche Chancen der »Choice Explorer« gerade in Ausbildungsvorbereitungsklassen bietet, wie Lehrkräfte ihn ohne technisches Vorwissen zum Laufen bringen und wie der abschließend vorbereitete Mega‑Prompt – wahlweise als Chatbot – die kreative Themen‑ und Parameterauswahl spürbar erleichtert. der Choice Explorer im Überblick Der Choice Explorer ist ein H5P‑Inhaltstyp, der Lernenden über intuitive Schieberegler unmittelbar vor Augen führt, wie eine einzige Entscheidung in mehreren Dimensionen gleichzeitig wirkt – genau die Mehrperspektivität, die in der Einleitung als Kennzeichen unserer “Polykrise” beschrieben wurde. Statt in Kategorien von „richtig oder falsch“ zu denken, erleben die Jugendlichen, dass Handlungen oft gemischte, teilweise widersprüchliche Folgen haben. Dadurch eröffnet das Tool einen geschützten Proberaum, in dem Lernende systemisches Denken, Priorisieren und verantwortungsvolles Abwägen trainieren können. Lehrkräfte bleiben dabei Regisseurinnen und Regisseure: Sie formulieren zunächst eine prägnante Aufgabenstellung, die die Lernenden mitten in ihre Lebenswelt holt, wählen lebensweltnahe Parameter, moderieren die Reflexion und verankern das Szenario im Kompetenzrahmen – von Future‑Skills wie Problemlösen und digitaler Souveränität bis hin zu den Lehrplänen geforderten Orientierungs‑ und Urteilskompetenzen. Eine klare, alltagsnahe Aufgabenbeschreibung entscheidet letztlich darüber, ob die Lernenden die Komplexität erkennen und gleichzeitig den roten Faden behalten. Beispiel “Gesunder Schlaf vs. Bildschirm & Co – So beeinflusst dein Alltag deine Motivation” Im Rahmen unserer Teilnahme am Deutschen Lehrkräfteforum befassen wir uns aktuell gezielt mit Schulmüdigkeit in Ausbildungsvorbereitungsklassen. Um die komplexen Zusammenhänge zwischen Schlafgewohnheiten, Freizeitverhalten und Leistungsfähigkeit greifbar zu machen, haben wir uns entschieden, den Choice Explorer als interaktives Experiment einzusetzen. Lernende verteilen insgesamt 16 Stunden ihrer Nachmittags‑ und Abendzeit auf vier Aktivitäten – Schlaf, Bildschirmzeit, Sport und Treffen mit Freund:innen. Jede Stunde wirkt sich dabei unterschiedlich auf die drei Zielgrößen Motivation, Leistungsfähigkeit und Stress aus. Nachfolgend soll anhand dieses Beispiels die Erstellung des Inhaltstypen in dessen Editor erklärt werden. 1. Titel & optionales Vorschaumedium Was ist zu tun? Nachdem man einen prägnanten Titel eingetragen hat, lässt sich direkt darunter ein Bild, eine Audio‑Datei oder ein Video einbinden. Dieses Vorschaumedium rahmt das Szenario ein, weckt Neugier und liefert – je nach Wahl – erste inhaltliche Impulse, zum Beispiel ein Foto einer übervollen To‑do‑Liste, ein kurzer Podcast‑O‑Ton zur Schlafhygiene oder ein motivierender Clip. Gerade in Ausbildungsvorbereitungsklassen aktiviert ein passendes Medium Vorwissen, bietet Gesprächsanlässe und wertet das Setting auch optisch oder auditiv auf. 2. Aufgabenbeschreibung Was ist zu tun? Eine gut strukturierte, prägnante Aufgabenstellung öffnet den Lernenden die Tür zum Choice Explorer. Kurze, alltagsnahe Formulierungen und der Verzicht auf Fachjargon verhindern sprachliche Überforderung. Lehrkräfte können das Tool entweder gleich zu Beginn nutzen, um einen Aha‑Effekt zu erzeugen, oder bewusst erst am Ende einer fachlichen Erarbeitung einbinden, um die zuvor diskutierte Komplexität noch einmal visuell zu verdichten – dann reicht oft eine sehr knappe Aufgabenformulierung, weil die Reflexionsziele bereits gemeinsam geklärt wurden. 3. Entscheidungsparameter Was ist zu tun? Entscheidungsparameter sind die Hebel, an denen Lernende bewusst drehen – etwa Schlafdauer, Handyzeit oder Budget. Für jeden Parameter braucht es eine klare Beschriftung, eine durchgängige, gut skalierbare Einheit (z. B. alle Zeitwerte in Stunden oder alle Beträge in Euro) und einen sinnvollen Minimal‑ und Maximalwert. Jede 1 Einheit eines Entscheidungsparameters wirkt später in der Gewichtungsmatrix auf alle Zielparameter. Werden verschiedene Maßstäbe gemischt (etwa Stunden bei Schlaf und Minuten bei Bildschirmzeit), lassen sich Effekte kaum noch nachvollziehen. Besser ist, alle Zeiteinheiten zu harmonisieren oder, falls nötig, Umrechnungen vorzunehmen. Außerdem gilt: maximal drei bis fünf Entscheidungsparameter reichen völlig – zu viele Regler überfordern nicht nur den Editor, sondern auch die Lernenden. 4. Zielparameter Was ist zu tun? Zielparameter machen die Auswirkungen greifbar – etwa Motivation, Energie, Stress oder Finanzen. Für jeden Zielparameter braucht es eine eindeutige Beschriftung, eine Einheit, die zum Inhalt passt (Punkte, Euro, Prozent, Stunden …), einen Minimal‑ und einen Maximalwert, damit das Tool weiß, wann ein Balken „leer“ oder „voll“ ist. Im Beispiel kommen fiktive Punkte zum Einsatz, doch der Choice Explorer erlaubt wesentlich mehr: Lehrkräfte können reale Größen wählen, zum Beispiel CO₂‑Kilogramm in einem Nachhaltigkeitsszenario oder Eurobeträge in einem Finanzplanspiel. Unterschiedliche Einheiten pro Zielparameter sind erlaubt, weil das Tool jeden Balken separat berechnet – Voraussetzung ist allerdings, dass die Effekte in der Gewichtungsmatrix dieselben Einheiten berücksichtigen. Wer Energie in Kilojoule abbildet, muss also die Wirkungen der Entscheidungsparameter ebenfalls in Kilojoule‑Schritten hinterlegen. Nicht zuletzt gilt auch hier die 3‑bis‑5‑Regel: Eine überschaubare Anzahl klar benannter Zielparameter fokussiert die Lernenden und vermeidet kognitive Überlastung. 5. Gewichtungen (Effektmatrix) Was ist zu tun? Die Gewichtungsmatrix ist das Herzstück des Choice Explorers. Für jede 1 Einheit eines Entscheidungsparameters – also zum Beispiel eine Stunde Schlaf oder einen Euro – muss eingetragen werden, wie stark sich diese Einheit auf jeden Zielparameter auswirkt. Positive Werte erhöhen, negative Werte verringern den Balkenstand. Praktische Vorgehensweise: Skizzieren:
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